Friedrich Luft, SZ,1955


Friedrich Luft, Süddeutsche Zeitung, 1. Mai 1955

Reverenz vor München

das münchner jalır. Ein Photobuch mit 97 Aufnahmen von Elisabeth Niggemeyer und Texten von Walter Foitzick. Süddeutscher Verlag. München. 112 Seiten, kart. 18.80 DM, Leinen 21.50 DM.

In jedem guten Photo ist vielmehr als der Zufall verborgen. Gewiß, Glück muß bei der Sache sein. Aber das kommt auch hier. am Ende nur immer dem Tüchtigen zu Hilfe. Die künstlerische Photogrphie ist ein Produkt aus Geduld, Souveränität im Technischen, Augenlust, Wille zur Komposition, aus Ergriffenheit vor dem Gegenstand und Liebe zum Objekt.

In früheren Zeiten standen die Maler auf unseren Plätzen und registrierten pinselnd das Leben. Das tun die, auf die es heute ankäme, so nicht mehr. Die subjektive Wiedergabe des Gegenständlichen ist eine künstlerische Provinz, von der sich die Photographen viel erobert haben. Unsere Städteschilderer äugen durch die Linse.

Dabei sind der Knipser Myriaden. Photographen ernsthaften Kalibers gehen heute in Europa auf die Finger zweier Hände. Mit diesen 100 erstaunlichen und sehr unterhaltsamen Belichtungen der urbanen, krausen, frommen, frivolen, angebehaglichen, nervösen und geruhsamen Stadt München stellt sich die blutjunge Elisabeth Niggemeyer unverdrossen dieser raren Spitzengruppe bei. Ihr eignet eine fröhliche Wollust des Schauens. Sie schwelgt zärtlich im Sichtbaren. Allein, wie sie zwei Münchner in der Tram optisch überlistet und durch das Fenster noch einen weichen Ausblick auf die Straße gewinnt, ist meisterlich und enthält unversehens beides ganz: die Leute und die Stadt.

Oder wie sie dem Stachus von oben beikommt: eine Katze spielt am Fensterbrett; unten wurlt der Verkehr und tut sich wichtig; Träumerei und Betrieb: München. — Oder ein Gartenlokal am Starnberger See. Nur gedeckte Tische, Nebel, Wasser, verhängte Berge, zwei einsame Männer auf einem feuchten Steg. Das ist der Herbst. Und zu sagen, daß Monet oder Sisley das auch nicht viel anders eingefangen hätten, wäre falsche Schmeichelei. Dies ist immer Photo mit den legitimen Mitteln des Photos. Nur staunt man, wie viele Nuancen des Wohlgefälligen diese neue Photographin der Sache München abgewinnt: Melancholie ist da, Humor, eine Art sarkastischer Freude am Kontrast, eine zierliche Hingabe an die Lust der Linien und Konturen und immer eine ganz ungehemmte Freude am Schauen. Diese Elisabeth Niggemeyer photographiert nie auf Teufel komm raus „originell“. Aber sie sieht original. Und das macht ihre 100 verlockenden Bilder so frisch und so heiter, so anmutig, so treffend.

Sie hat Glück gehabt. Derart wohlausgewogen, modern, handlich und kontrastreich editiert wurde lange kein Bildband wie der ihre. Und wenn Walter Foitzick jeweils mit ein paar feuilletonistischen Sätzen die Münchner Jahreszeiten für sie, sozusagen, einläutet, hat er es fast schwer. Diese Bilder sprechen ihre eigene Sprache schon so sehr beredt.

Reverenz vor München, daß es so „photogen“ ist! Aber alle Hochachtung auch vor dieser jungen Photographin, die es so witzig und würzig, so wohlgefällig und merk-würdig neu entdeckt hat!

Friedrich Luft

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