Die verordnete Gemütlichkeit

für bücher


Wolf Jobst Siedler, Elisabeth Niggemeyer, Gina Angress: Die verordnete Gemütlichkeit, Abgesang auf Spielstraße, Verkehrsberuhigung u. Stadtbildpflege – Gemordete Stadt II.Teil. Quadriga/Severin, Berlin 1985, S. 224.



Die Zeit, 11.Oktober 1985

Unwirtliche Gemütlichkeit

Der „gemordeten Stadt“ zweiter Teil- mit Bildern, Dokumenten und fünf Essays / Von Manfred Sack

Zwanzig Jahre danach haben sie nun nachgesehen, was aus der „gemordeten Stadt“ geworden ist, die sie Anfang der sechziger Jahre mit scharfem, ja seherischem Blick beobachtet und publik gemacht haben. Die drei Autoren – die Photographin Elisabeth Niggemeyer sowie die Journalistin Gina Angress und Wolf Jobst Siedler — haben damals mächtige Furore gemacht mit ihrem frechen, enthüllenden, anklagenden Buch, dessen Titel sich bald selbständig gemacht hat und ein beliebter Slogan geworden ist, unter dessen Mantel vielerlei Unmut Platz hatte.

Die Zeit war reif dafür – und begierig darauf. Kurz bevor „Die gemordete Stadt“ erschien, hatte die Journalistin Jane Jacobs „Tod und Leben großer amerikanischer Städte“ beschrieben, wenig später hatte der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ beklagt. Rundum: Irrtümer, enttäuschte Hoffnungen, mißverstandene Maximen, phantasieloses Denken, undifferenziertes Handeln, ästhetische Blindheit — die mißbrauchte Moderne und die vom Verkehr beherrschte Stadt waren in einem Bild des Jammers aufgegangen.

Und jetzt? Hat sich „die gemordete Stadt“ wieder aufgerappelt? Kein Zweifel, ein bißchen. Haben die Stadtpolitiker, die Planer, die Architekten ihre Irrtümer erkannt? Gewiß, nur sind ihnen beim Korrigieren der alten Fehler neue unterlaufen. Hat die Stadt sich wenigstens wieder ein wenig schön gemacht? Und wie, scheußlich schön. Hat sich also doch erwas geändert – womöglich zum Guten gewendet?

weiter lesen


mehr presse verordnete gemütlichkeit